Wenige Jahre nach der Eröffnung der Strecke der Märkischen Straßenbahn initiierte der Landkreis Dortmund auf der nördlichen Seite der Emschertalbahn den Aufbau eines weiteren Straßenbahnnetzes. Zum Landkreis Dortmund gehörten damals unter anderem der Amtsbezirk Castrop mit den Gemeinden Börnig, Bövinghausen (nordwestlicher Teil), Castrop, Frohlinde, Giesenberg-Sodingen, Habinghorst, Holthausen, Merklinde und Rauxel. Ebenfalls zum Landkreis Dortmund gehörte der im Süden angrenzende Amtsbezirk Lütgendortmund mit den Gemeinden Bövinghausen (südöstlicher Teil), Kirchlinde, Kley, Luetgendortmund, Oespel und Westrich.
VORBILD DORTMUND
In Dortmund gab es bereits seit 1881 einen Straßenbahnbetrieb. Diesen hatte der in Berlin ansässige Bauunternehmer Georg Sönderop realisiert. Die erste Strecke wurde am 1. Juni 1881 als Pferdebahn zwischen dem Steinplatz und Ausflugsziel Fredenbaum eröffnet. Am 13. August 1881 nahm eine zweite Pferdebahn zwischen der Funkenburg und der Eisenbahnbrücke in Dorstfeld den Betrieb auf. Die dritte Strecke folgte am 21. September 1881. Sie führte vom Bahnhof nach Süden bis zum Ausflugslokal Kronenburg.
Am 4. Oktober 1881 wurde als Dachgesellschaft der Dortmunder Straßenbahn die „Dortmunder Strassenbahn-Aktiengesellschaft für Pferde- und Dampfbetrieb“ gegründet. Diese gab die über 40 Jahre geltende Konzession für den Straßenbahnbetrieb im Februar 1882 an die „Deutsche Lokal- und Strassenbahngesellschaft“ mit Sitz in Dortmund weiter.
1884 wurde der Südast des Streckennetzes von der „Kronenburg“ bis nach Hoerde verlängert. Auf dieser Überlandstrecke kamen anstelle von Pferden erstmals Straßenbahn-Dampflokomotiven zum Einsatz.
Die „Deutsche Lokal- und Straßenbahngesellschaft“ mutierte 1890 zur „Allgemeinen Lokal- und Straßenbahngesellschaft“ mit Sitz in Berlin. Sie forcierte und finanzierte die Umstellung der Pferde- und Dampfbahnstrecken auf den elektrischen Betrieb. Dieser wurde am 1. März 1894 ausgehend von einem neuen Betriebshof an der Rheinischen Straße aufgenommen. Bis 1896 fuhren alle Straßenbahnen in Dortmund elektrisch.
MARKANTE PUNKTE
Die positive Entwicklung des elektrischen Straßenbahnverkehrs in Dortmund inspirierte die Entscheider im Landkreis Dortmund, nach Investoren für einen elektrischen Straßenbahnbetrieb im Kreisgebiet zu suchen. Die Strecken sollten markante Punkte im Kreis miteinander verbinden. Dabei dachte man insbesondere an die Anbindung der neu entstehenden Zechensiedlungen an die historisch gewachsenen Gemeinden.
In den Jahren 1896 und 1897 legten gleich mehrere Investoren entsprechende Projekte vor, von denen jedoch aus Sicht des Kreises kein Vorschlag die notwendige wirtschaftliche Solidität nachweisen konnte. Es stellte sich immer mehr heraus, dass alle projektierten Strecken ohne eine finanzielle Beteiligung des Kreises nicht zur Ausführung kommen würden.
In dieser Situation beauftragte der Kreistag im Laufe des Jahres 1899 den Betriebsdirektor der Westfälischen Landeseisenbahn mit einem Gutachten hinsichtlich der Bauwürdigkeit von Straßenbahnlinien im Landkreis Dortmund. Zu den vier Strecken, die der Gutachter als „bauwürdig“ einstufte, gehörte eine 7,7 Kilometer lange Verbindung von Dorstfeld über Marten, Standort der 1858 in Betrieb genommenen Schachtanlage Germania, nach Lütgendortmund.
Eine zweite, im Westen des Kreisgebietes vorgeschlagene Verbindung sollte von Henrichenburg über Castrop zur Zeche Graf Schwerin führen. Das Beitragsbild zeigt die im Osten des Amtes Castrop liegende Schachtanlage im Jahr 1923 (Kunstanstalt Hermann Lorch, Dortmund – Sammlung Ludwig Schönefeld).
AUF EIGENE RECHNUNG
Mehrfach versuchte der Kreistag, einen interessierten Privatunternehmer als Konzessionär für die geplanten Straßenbahnstrecken zu gewinnen – ohne Erfolg. Auch die Allgemeine Lokal- und Strassenbahngesellschaft war nicht interessiert, das Dortmunder Stadtnetz auf den Landkreis auszudehnen.
So verblieb dem Landkreis Dortmund nur die Option, den Bau und Betrieb einer Straßenbahn auf eigene Rechnung voranzutreiben. Er befand sich damit in der gleichen Situation wie später auch der Landkreis Recklinghausen. Gewinnorientierte Privatunternehmen waren an renditeschwachen Überlandstrecken nicht interessiert.
PROJEKTIERTE STRECKEN
Zu den projektierten Strecken gehörten nach einer Aufstellung im Verwaltungsbericht des Landkreises Dortmund aus dem Jahr 1900 die folgenden Verbindungen:
Dorstfeld – Marten – Lütgendortmund
Dorstfeld – Marten – Kirchlinde – Castrop
Dorstfeld – Huckarde – Mengede
Sodingen – Castrop – Rauxel
Eving (Fredenbaum) – Brechten – Brambauer, Zeche Achenbach
Eving (Fredenbaum) – Kirchderne – Lünen
Körne – Unna
Da die Staatsbahn eine niveaugleiche Kreuzung von Eisen- und Straßenbahn untersagte, konnten die drei erstgenannten Projekte einstweilen nicht verwirklicht werden. Das Projekt einer Straßenbahn nach Sodingen scheiterten an einer Gebietsreform: Ab 1902 wurden die Gemeinden Börnig, Giesenberg-Sodingen (ab 1913 Sodingen) und Holthausen aus dem Amt Castrop ausgegliedert. Sie verfolgten in den folgenden Jahren die Gründung eines eigenen Verkehrsbetriebes, der späteren Straßenbahn Herne – Sodingen – Castrop, deren Geschichte ich auf meiner Herner Website im Detail vorstelle. Um das Projekt einer Straßenbahn von Körne nach Unna umzusetzen, waren Abklärungen mit privaten Investoren, der Stadt Unna und dem Landkreis Hamm notwendig.
NORMALSPUR
Aufgrund der Monopolstellung der Allgemeinen Lokal- und Straßenbahngesellschaft für den Straßenbahnverkehr im Dortmunder Stadtgebiet war von Anfang an klar, dass die im Jahr 1900 geplanten Strecken als Einzelbetriebe gebaut und betrieben werden mussten. Synergien waren allenfalls bei der Beschaffung von Material und Fahrzeugen zu erwarten.
Um zu einem späteren Zeitpunkt die Möglichkeit haben, die Linien des Landkreises unter Nutzung des Dortmunder Stadtnetzes zu verbinden, entschied sich der Landkreis bei der Ausschreibung seiner Strecken für die im Dortmunder Stadtnetz gebräuchliche Spurweite von 1435 Millimetern. Dieser auch als „Normalspur“ bezeichnete Gleisabstand wurde auch von der Staatsbahn verwendet. Sie fürchtete allein schon deshalb Konkurrenz durch die projektierten Straßenbahnstrecken.
PARTNER A.-E.-G.
In der Folgezeit gelang es dem Kreis für den Bau und Betrieb der geplanten Linien die Allgemeine Elektrizitäts-Gesellschaft A.-E.-G. in Berlin zu gewinnen. Der entsprechende Vertrag wurde am 27. November 1903 geschlossen. Die Straßenbahnbetriebe des Landkreises wurden in der Folgezeit als „Elektrische Strassenbahnen des Landkreises Dortmund“ bezeichnet. In der Öffentlichkeit und in den Medien der damaligen Zeit sprach man demgegenüber verkürzt von der „Landkreisbahn“.