ABSCHIED VON DER 22

Bereits vor dem Zweiten Weltkrieg befand sich die Wittener Straße in einem schlechten Zustand. Das Straßenpflaster war an vielen Stellen uneben. Auch die Einpflasterung der Straßenbahngleise war schadhaft. Hinzu kam der steigende Individualverkehr, für den Anfang 1939 mit einem aufgemalten Mittelstreifen zwei Fahrspuren geschaffen wurden (Foto Bruno Klepinski – Stadtarchiv Castrop-Rauxel).

Der Krieg verhinderte einen nachhaltigen Unterhalt. All dies trug dazu bei, dass Anfang der 1950er-Jahre nach der damaligen Einschätzung der Bochum-Gelsenkirchener Straßenbahnen AG ein langfristiger Fortbestand der Straßenbahnverbindung aufgrund des schlechten Zustands der Gleise und der Oberleitung und des absehbaren Erneuerungsbedarfs nicht mehr wirtschaftlich war. Dies insbesondere im Vergleich zu den Anschaffungs- und Betriebskosten von Omnibussen.

UNERWARTETE EINSTELLUNG

Für die Bürgerinnen und Bürger von Castrop-Rauxel war die Straßenbahn kaum mehr als ein Verkehrsmittel. So kam die im Mai 1951 von der Betriebsleitung der Bochum-Gelsenkirchener Straßenbahnen AG verfügte Einstellung der Straßenbahnlinie 22 zwar überraschend. Da jedoch eine moderne Verkehrsverbindung mit Omnibussen in Aussicht gestellt wurde, gab es aber auch keine Kritik.

Die ersten Probe- und Schulungsfahrten mit Omnibussen wurden am 29. Mai 1951 durchgeführt. Die Bevölkerung wurde über die bevorstehende Einstellung des Straßenbahnverkehrs nur mit einer kurzen Notiz in der Lokalausgabe der „Ruhr Nachrichten“ vom 30. Mai 1951 informiert:

Bereits zwei Tage später, am 31. Mai 1951, wurde die Linie 22 zwischen der Emschertalbahn in Castrop-Rauxel und Langendreer Bahnhof stillgelegt. Die Mitarbeitenden des Betriebshofes Witten hatten den letzten von Langendreer nach Castrop-Rauxel fahrenden Straßenbahnwagen angemessen geschmückt. Darüber hinaus wies ein vermutlich handschriftlich hergestelltes Schild auf den besonderen Anlass hin.

Lange Zeit war von der Abschiedsfahrt kein Foto bekannt – bis sich vor wenigen Jahren der in Dortmund-Bövinghausen aufgewachsene Wilfried Schöppner bei der Verkehrshistorischen Arbeitsgemeinschaft der BOGESTRA meldete und ein von ihm am 31. Mai 1951 aufgenommenes Bild zur Reproduktion zur Verfügung stellte. Ein weiterer Abzug gelangte zu Heimatfreunden in Lütgendortmund. Die seltene Aufnahme zeigt den letzten Triebwagen in Höhe der Ausweiche am damaligen Postamt in Bövinghausen.

KEINE SENTIMENTALITÄTEN

Während Straßenbahnfreunde den Verlust der Überlandverbindung bedauerten, weinte die Bevölkerung der Bahn keine Träne nach. Im Gegenteil: Die modernen Omnibusse wurden von der Lokalredation der Tageszeitung mit einem Gedicht auf der Titelseite des Lokalteils der Ausgabe vom 1. Juni 1951 begeistert begrüßt.